Organisationsprozess

Organisations-Benchmarking: Trotz klaren Grenzen zum Erfolg

Ein beliebtes Thema bei Reorganisationen ist regelmässig der Vergleich mit anderen Organisationen. Obwohl häufig praktiziert, sagt ein reiner Vergleich von Organigrammen allerdings kaum etwas aus. Wichtig ist, die Grenzen des Organisations-Benchmarking zu kennen und bei der Durchführung ein paar wichtige Punkte zu beachten, damit Inspiration und echtes Lernen von Anderen möglich wird.

 

Orientierung, Sicherheit und Legitimation: Was gesucht wird

Der Kontext für einen Organisationsvergleich – und damit meine ich nun ausdrücklich einen Vergleich der Strukturorganisation – ist regelmässig die Suche nach einer leistungsfähigen bzw. leistungsfähigeren Organisation für die eigene Einheit. Als konkrete Motivation treffe ich in der Praxis in der Regel eines oder mehrere der folgenden Ziele an:

  • Orientierung: Gesucht wird Transparenz über die Palette an möglichen Organisationsmodellen, die aktuell in der Praxis umgesetzt sind. Idealerweise beinhaltet diese Transparenz auch das Erkennen von Trends von Veränderungen.
  • Sicherheit: Gesucht wird Gewissheit, dass der eigene Entscheid für ein Organisationsmodell nicht dem widerspricht, was andere tun. Oder man will sich versichern, dass der eigene Entscheid für eine Organisationsform in Kenntnis real existierender Alternativen gefällt wird.
  • Legitimation: Gesucht wird die Legitimation von eigenen Organisationsentscheiden durch einen Vergleich mit anderen Institutionen und Unternehmen. Dies praktisch ausschliesslich im Hinblick auf die Beurteilung der eigenen Organisationswahl durch in der Hierarchie übergeordnete Entscheidungsgremien. Sozusagen als „Beweis der eigenen Umsichtigkeit“.

Sind diese Erwartungen durch ein Organisations-Benchmarking überhaupt einlösbar?


Wo klare Grenzen von Organisations-Benchmarking liegen

Organisationsmodelle vergleichen kann man immer. Sollen aber aus einem Vergleich präzise gestaltungsorientierte Anweisungen herausgefiltert werden, gibt es mindestens zwei Gründe die klare Grenzen setzen:

  1. Zwei oder sogar mehrere Unternehmen oder Institutionen zu finden, die in ihren Bedingungsgrössen und Ausprägungen gleich sind, ist praktisch unmöglich. Dies ist sehr relevant für ein Organisations-Benchmarking, denn organisatorische Gestaltung ist immer situativ: Die gewählte Struktur muss den gültigen spezifischen Verhältnissen angepasst sein („Fit“, schön ausgearbeitet bei Donaldson und Joffe 2014). Ein simples Ausblenden situativ relevanter Faktoren (spezifische betriebliche und personelle Bedingungen, implementiertes Geschäftsmodell und Strategien, konkrete Umweltfaktoren u. ä. m.) und die Übernahme verbreiteter bzw. von anderen praktizierten Lösungen wird daher kaum optimal sein – oder höchstens zufällig.
  2. Das Ausmass des Beitrages der Organisation zum Gesamterfolg eines Unternehmens/ einer Institution ist normalerweise nicht eindeutig bestimmbar. Zur Zielerreichung trägt auch massgeblich anderes bei, wie z. B. die Führung oder das Personalmanagement. Der Ziel-Mittel-Bezug der Organisation ist in diesem Sinne längst nicht immer offensichtlich. Und auch der exakte Zielbeitrag der Organisation kann in der Regel weder genau zugerechnet noch befriedigend messbar gemacht werden. Möglicherweise sind darum als erfolgreich wahrgenommene organisatorische Lösungen anderer Unternehmen und Institutionen gar nicht entscheidend für deren „Erfolg“.

Was heisst das nun für die Praxis? Zum Beispiel für die beliebten (beliebt weil die Informationen vergleichsweise einfach erhältlich sind und der Vergleich günstig zu haben ist) und oft praktizierten reinen Vergleichen von Organigrammen als „Light-Variante“ eines Organisations-Benchmarkings.

 

Reine Vergleiche von Organigrammen sagen kaum etwas aus

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Die Konsequenzen für solche Vergleiche sind eindeutig: Weil die Hintergründe für die gewählten Organisationsformen nicht bekannt sind, sagt ein reiner Vergleich von Organigrammen daher im Hinblick auf eine mögliche organisatorische Umgestaltung eigentlich gar nichts aus. Ausgenommen natürlich, dass ein solcher Vergleich die absolut legitime Neugierde stillen kann, wie bewusst ausgewählte andere Unternehmen bzw. Institutionen im Moment organisiert sind.

Das heisst, dass immerhin die oben erwähnte Erwartung der Orientierung durch ein Organisationsvergleich teilweise (nämlich im Hinblick auf die äussere Form) eingelöst werden könnte. Würde allerdings durch einen solchen Vergleich „gefühlt“ Sicherheit vermittelt, so wäre diese Sicherheit höchstens eine eingebildete. Und legitimieren lässt sich mit einem Organigramm-Vergleich aus meiner Sicht schon gar nichts.

 

Trotzdem: Echte Chancen

Heisst das nun: Finger weg vom Organisations-Benchmarking? Nein, ja nicht, denn die Chance, von anderen im Hinblick auf Organisationsmodelle wirklich zu Lernen birgt immenses Erkenntnispotenzial und ist in meiner Erfahrung sehr fruchtbar.

Was es aber heisst ist, dass das Organisations-Benchmarking methodisch umsichtig erfolgen muss, damit der jeweils gültige Kontext mit dem relevanten Leistungsspektrum der anderen Unternehmen bzw. Institutionen eingefangen werden kann. Es dürfen nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Zudem heisst es, dass die Erkenntnisse eines Organisations-Benchmarking zu keinem Zeitpunkt als Begründung für die eigene Modellwahl verwendet werden dürfen. Jedoch bietet es vielfältige Möglichkeiten, die eigenen Überlegungen zu hinterfragen und zu plausibilisieren.

Fundamental ist weiter, dass es bei einem Organisations-Benchmarking zwar schon um das „Wie machen es andere?“ geht. Dass dieses „Wie“ aber nur ein Entrée für die „Warum“-Frage ist: „Warum machen es andere so?“. Mit dieser Basisphilosophie wird der Gewinn aus einem Vergleich am höchsten sein, weil sie zu echtem Verstehen führt und gute Inspirationen möglich werden.

 

Organisations-Benchmarking richtig gemacht: Sieben zentrale Punkte

Damit Organisations-Benchmarking gelingt sind wenige, aber wesentliche Punkte zu berücksichtigen. So können relevante Orientierungsgrössen („Messpunkte“ = Benchmarks) gewonnen werden, die erlauben, den eigenen Entwicklungsstand der Organisation bzw. deren Leistungsfähigkeit gültig einzuordnen.

Konkret gehören für mich zur systematischen Vorbereitung und zum richtig Machen folgende sieben Punkte an prominenter Stelle dazu:

  1. Ausdrückliches Bewusstsein der bestehen Grenzen: Es ist wichtig zu wissen, dass die oben beschriebenen Grenzen des Organisations-Benchmarking wirklich existieren. Ein Vergleich von Organisationsmodellen kann ein wertvoller Orientierungspunkt in einem Reorganisationsprozess sein, ist aber bitte immer mit Vorsicht zu geniessen.
  2. Realistische Definition der Zielsetzung: Nicht alles ist mit Organisations-Benchmarking möglich, daher sollten auch die Ziele realistisch definiert werden. Es ist festzulegen, was genau wir bzgl. Organisation besser verstehen wollen, welches Wissen wir erwerben sollten, was wir von unseren Benchmarking-Partnern genau lernen möchten etc.
  3. Möglichst präzise Definition der Vergleichsgrössen: Damit die Zielsetzung erreicht werden kann, gehört das präzise Definieren der zu vergleichenden Kernelemente der Organisation dazu. Nach einer Grobdefinition eignet sich die Erarbeitung des Fragebogens für den Vergleich ausserordentlich gut: Hier wird es konkret, weil wir uns im Hinblick auf den Austausch genau überlegen müssen, wie die benötigten Informationen greifbar werden.
  4. Gespräche vor Ort als Kernstücke des Organisations-Benchmarking: Der Vergleich von Schriftstücken und Darstellungen gibt bzgl. Organisationsmodell nur eine beschränkte Sicht wieder. Damit die situativ relevanten Faktoren wie spezifische betriebliche und personelle Bedingungen, implementiertes Geschäftsmodell und Strategien, konkrete Umweltfaktoren u. ä. m. erfasst und in den richtigen Kontext gestellt werden können, sind intensive Gespräche aus meiner Sicht unabdingbar. Nur so können die richtigen Rückschlüsse gezogen werden.
  5. Vorstudium der Partner für das Organisations-Benchmarking: Ein maximaler Effekt ist erzielbar, wenn die Partner-Institutionen bzw. -Unternehmen bereits im Vorfeld mit zugänglichem Material studiert werden. Damit wird verhindert, dass die Gespräche bei null anfangen. Im Gegenzug ist es hilfreich (und höflich), den Gesprächspartnern Vorinformationen über die eigenen Umstände zugänglich zu machen. Dies nebst den Fragen zur Organisation, die konkret behandelt werden sollen.
  6. Echter Austausch im Gespräch mit Entscheidern: In meiner Erfahrung sollte beim Organisations-Benchmarking mindestens ein Entscheider mitmachen. Idealerweise ist dies der Leiter der betroffenen Einheit (Bereichsleiter, Divisionsleiter, CEO). Dies gilt auch für die Partner-Unternehmen bzw. –Institutionen. So wird ein stufengerechter und lösungsorientierter Austausch möglich. Und dies in die eine wie auch die andere Richtung. Es gibt den Gesprächen auch ein anderes Gewicht und ist gleichzeitig eine einmalige Gelegenheit, das eigene Beziehungsnetz zu stärken.
  7. Nur moderierende und dokumentierende Rolle für die externe Begleitung: Sinnvoll ist, wenn eine externe Begleitung den Organisations-Benchmarking-Prozess methodisch begleitet, die Ergebnisse systematisch dokumentiert und sinnvoll konsolidiert (sofern dies mit internen Ressourcen nicht möglich ist). Sie sollte aber den Prozess nicht in Eigenregie durchführen, weil damit einerseits Wahrnehmungs- und Interpretationsfilter eingebaut werden. Andererseits vergibt sich das Unternehmen bzw. die Institution die Chance direkter Lerneffekte und Erkenntnisse. Gerade vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen eines Organisations-Benchmarkings ist dies sehr ungünstig.

Die sieben Punkte bedeuten gleichzeitig, dass ein aussagekräftiges Organisations-Benchmarking in jedem Falle mit Aufwand verbunden ist. Ein Aufwand, der sich im Hinblick auf den Nutzen aus meiner Sicht aber eindeutig lohnt.

 

Hinweise auf Quellen

Zum Thema Benchmarking generell gibt es sehr viele Quellen. Im Hinblick auf diesen Post habe ich wieder einmal die 2008 erschienene, kurz und knackige generelle Einführung von Herz, Kaldschmidt und Salonen „Erfolgreiches Benchmarking. Lernen von den Besten“ zur Hand genommen. Alternativ ist auch das Büchlein „Benchmarking: Leitfaden für die Praxis“ von Gunnar Siebert und Stefan Kempf erwähnenswert (ebenfalls 2008). Zum Ausmass des Beitrags der Organisation zum Gesamterfolg eines Unternehmens verweise ich auf Wenger und Thom 2021 „Die optimale Organisationsform – Grundlagen und Handlungsanleitung„, 2. Aufl., S. 39.

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