Arbeitsteilung

Organisation von Universitäten: In der Krise zwischen Hammer und Amboss

Die Führungsorganisation einer Universität bewegt sich in einem sehr anspruchsvollen Umfeld. Gerade bei aussergewöhnlichen Vorfällen zeigt sich, mit welchen Herausforderungen ihre Organisation konfrontiert wird. Wie das aktuelle Beispiel Zürich zeigt, droht sie in der Krise zwischen Hammer und Amboss zu geraten. Warum dies so ist, illustrieren ein paar Überlegungen zu den relevanten organisatorischen Eigenheiten und und Hintergründen von Universitäten.


Beschränkte Möglichkeiten zentraler Führung und Steuerung

Die erste Herausforderung für die Organisation von Universitäten ist in Artikel 20 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft angelegt:

„Art. 20 Wissenschaftsfreiheit: Die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung ist gewährleistet.“

Dieser Grundsatz wird in allen weiteren, konkretisierenden und ausführenden Rechtswerken wiederholt (z. B. den kantonalen Universitätsgesetzen). Er findet sich auch in den Leitbildern der Universitäten, meist als elementarer Teil der eigenen Identität sehr prägnant formuliert. Als Illustration beispielsweise im Leitbild der Universität Zürich unter dem ersten Punkt:

„Wissenschaft erfordert Freiraum, in welchem sie sich unbeeinflusst von externen Zwängen und ideologischen Einflussnahmen entfalten kann. Die Universität beansprucht uneingeschränkte Freiheit von Forschung und Lehre.“

Dieser Grundsatz gilt selbstredend nicht nur für die Institution an sich, sondern auch für ihre Teilbereiche und Mitglieder. Sonst wäre er gar nicht umsetzbar.

Für die Ausgestaltung der Führungsorganisation jeder Universität ist dies ein zwingendes Gestaltungsprinzip, das nicht umgangen werden kann (ich sehe zumindest nicht wie). Es kanalisiert automatisch die zur Verfügung stehenden Optionen in der Arbeitsteilung und Koordination. Insbesondere werden dadurch der führungsmässige Durchgriff systemimmanent beschränkt und die Machtverhältnisse klar bezeichnet: Der wirkliche Schwerpunkt der Universität liegt im Kerngeschäft der Wissensproduktion und Lehre. Und diese finden dezentral in den Departementen und Instituten statt. Departemente und Institute verfügen über ein gerütteltes Mass an Autonomie, was die Einflussmöglichkeiten zentraler Führung und Steuerung beschränkt. Zumal damit auch die Identifikation der Angehörigen der Universität auf die dezentrale Ebene fokussiert ist.

Eine natürliche Folge davon ist, dass der Mehrwert der Gesamtleitung erklärungsbedürftiger ist als in „normalen“ Verwaltungen und Unternehmen, die keinen solchen Grundsatz umsetzen müssen. Das ist aber längst nicht alles.

 

Die Schwierigkeit von „universitas“ für den Mehrwert der übergeordneten Leitungsstufe

Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich aus der Tatsache, dass Universitäten eben gerade nicht monothematisch ausgelegt sind. Diese grosse Heterogenität führt einerseits zu sehr unterschiedlichen Ansprüchen und Realitäten, mit denen die Gesamtleitung umgehen muss. Sie führt andererseits dazu, dass die Universitätsleitung auch themenbezogen kaum echten Mehrwert für die versammelten Wissensgebiete bieten kann.

Konsequenterweise finden sich neben den typisch administrativen Zentralfunktionen wie Personal und Finanzen v. a. Supportaktivitäten, welche die Kernaktivitäten generell fördern und unterstützen. Dies sind z. B. Aufgaben wie Nachwuchs- und Forschungsförderung, Technologietransfer, Hochschuldidaktik, Dienstleistungen für die Studierenden und Qualitätssicherung. Hier ist der mögliche Mehrwertbeitrag intuitiv ersichtlich.

Dieser Mehrwertbeitrag ist allerdings nicht einfach sicher, weil der Durchgriff zentraler Führung und Steuerung aus genannten Gründen beschränkt ist. Die Realisierung von Mehrwert hängt damit auch von der Bereitschaft der Universitätsmitglieder ab, insbesondere der Professorinnen und Professoren. Und diese sind diesbezüglich eher eine anspruchsvolle Kundschaft, sie wollen überzeugt werden, dass es sich lohnt.

 

Der Luxus einer komplizierten Organisation

Vor diesem nicht ganz einfachen Hintergrund wäre es naheliegend, die Organisation möglichst einfach und transparent aufzustellen. Eine klare Regelung bezüglich Rollen, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung die im Hinblick auf die Wirkung im Ziel das Maximum herausholt, was möglich ist. Ein erstes Screening scheint vielversprechend: Die Organigramme der Universitäten sehen in der Regel sehr übersichtlich aus. Spannend ist hier aber vor allem das Zusammenspiel in der Organisation. Um diesbezüglich mehr zu erfahren, habe ich ein paar kantonale Universitätsgesetze bezüglich Organisation verglichen (Basel, Bern und Zürich). Und dieser Vergleich war dann doch eher überraschend.

Besonders der Kanton Zürich erlaubt sich aus meiner Sicht eine Organisation der Universität (und ein Gesetz zur Organisation), die auch für geübte Aussenstehende bezüglich Verständlichkeit und Komplexität einige Knacknüsse aufweist. Ganz offen und ehrlich: Ich habe nach Sichtung der Art. 28 bis 37 des Universitätsgesetzes jedenfalls die grundlegende Idee sowie die Rollen und das Zusammenspiel der Organe nicht schlüssig begriffen. Und dazu werden immerhin vier A4-Seiten und zehn Artikel eingesetzt.

Die Basler brauchen für die Beschreibung der Organisation ebenfalls 10 Artikel, allerdings hat dort das ganze Gesetz auf knapp fünf Seiten Platz. Die Kürze des Basler Gesetzes fordert seine Opfer: Die Grundsätze der Organisation wurden mir klar, die genaueren Rollen einzelner Organe sind für Aussenstehende aber ohne weitere Erläuterungen nicht transparent. In meinem (zugegebenermassen nicht sehr wissenschaftlichen) Selbstversuch haben es immerhin die Berner in ihrem Universitätsgesetz geschafft, die Organisation klar und verständlich zu regeln. Dazu brauchen sie allerdings 18 Artikel und ca. 1’200 Wörter bzw. 7’800 Zeichen, das sei noch angemerkt.

 

Viele Anspruchsgruppen

Ob es daran liegt, dass die Universität Bern im Gegensatz zu Basel und Zürich über keinen Universitätsrat verfügt, in dem die Politik direkt Einfluss nehmen kann? Jedenfalls kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass Effektivitäts- und Effizienzüberlegungen bei der Universitätsorganisation auch anders ausgelegt werden können: Möglichst optimiert für einen effektiven und effizienten Ausgleich zwischen den Anliegen der verschiedenen internen und externen Anspruchsgruppen. Oder etwas kritischer formuliert: Eine Organisation, die das effektive und effiziente Einbringen von Anliegen der dominanten externen und internen Anspruchsgruppen sicherstellt.

 

Zwischen Hammer und Amboss

Solange die Geschäftsfälle im geregelten Rahmen ablaufen, machen es die beschriebenen Eigenheiten der Organisation von Universitäten der Gesamtführung zwar nicht einfach. Im Wissen der speziellen Verhältnisse entstehen dadurch aber keine gravierenden Nachteile.

Sobald aber aussergewöhnliche Vorfälle auftreten, welche sowohl von internen als auch externen Anspruchsgruppen aufgegriffen werden, gerät die übergeordnete Führungsorganisation zwischen Hammer und Amboss. Die Grundkonfiguration der Organisation einer Universität ist nicht auf Krisenbewältigung ausgelegt: Die beschränkten Durchgriffsmöglichkeiten erschwert einen einheitlichen und überzeugenden Auftritt, die eher komplizierte Organisation reduziert die Handlungsfähigkeit und -geschwindigkeit, die vielen Anspruchsgruppen ziehen sich auf ihre Positionen und Interessen zurück und vergessen den Ausgleich etc.

Ich will mich nicht inhaltlich zu den aktuellen Ereignissen rund um die Universität Zürich äussern, die mich zu diesem Blog angeregt haben. Aus der Perspektive des Organisationsdesigns erlaube ich mir aber folgenden Kommentar: Ein Faktor der doch eher unglücklichen Entwicklung liegt in der Ausgestaltung der Organisation. Hier besteht auf einer Makroebene aus meiner Sicht eindeutiger Handlungsbedarf. Wetten, dass er nicht angegangen wird?

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