[...] leichtes Unbehagen aufkeimen, als ich auf die Uhr schaue. Wir sind in der Bearbeitung des Reorganisationsvorhabens noch überhaupt nicht dort, wo wir sein sollten. Zweifel kommen auf: Hätte ich die Übungsanlage anders organisieren sollen? Was wären realistische Alternativen gewesen?
Naheliegend, aber nicht immer möglich: Ein off-site-Workshop
Naheliegend ist der Gedanke an einen off-site-Workshop. Die Vorteile liegen auf der Hand: Mentale Einstimmung der Teilnehmenden durch (geografische) Distanz vom gewohnten Umfeld, bessere Konzentration auf das Thema durch neutrales Arbeitssetting, ein klarer Tagesablauf mit organisierten Pausen und Verpflegung, um ein paar wenige zu nennen. Ideal also; gerade für die Diskussion und Bearbeitung strategisch gelagerter Inhalte wie bei obigem Beispiel.
Warum also nicht? Die Gründe, die dagegen sprechen können sind ziemlich einfach:
- Wesentliche Inhalte, die idealerweise in einem off-site-Format bearbeitet werden, werden nach Möglichkeit mit genügend Vorlauf geplant. Damit lässt sich die Vorbereitung optimieren und die Teilnahme der wesentlichen Personen sicherstellen. Doch ein solches Vorgehen ist aufgrund ausser- oder innerbetrieblicher Entwicklungen längst nicht immer möglich. Rasches Handeln der Verantwortlichen ist oft auch bei strategischen Themen wie Reorganisationen nötig.
- Aus Ressourcenüberlegungen wird die Bearbeitung wesentlicher Themenstellungen üblicherweise sequentiell eingeplant – ein no-brainer. Doch wenn oben 1) eintritt, ist dies oftmals genau nicht der Fall: Mehrere prioritäre Themen müssen nebst dem operativen Tagesgeschäft gleichzeitig von denselben Verantwortlichen und/ oder Mitarbeitenden auf eine Deadline hin bewältigt werden.
- Im Sinne der Arbeitsteilung werden prioritäre Inhalte natürlich wenn immer möglich unterschiedlichen Personen zugeordnet, um oben 2) zu entschärfen. Dies ist in grossen Organisationen meistens realisierbar. Bereits mittelgrosse Unternehmen sehen sich jedoch oft damit konfrontiert, dass für viele relevante Themenfelder sehr wenige Kompetenzträger vorhanden sind (sehr oft ist es sogar nur einer).
Im eingangs skizzierten Fall haben sich diese drei Elemente kumuliert: 1) Der Reorganisationsauftrag wurde aufgrund überraschender externer Ereignisse sehr kurzfristig vom übergeordneten Gremium erteilt. 2) In dieselbe Zeitperiode fielen die regulären Prüfungen unterschiedlicher Institutionen, die aufgrund des Geschäfts nötig sind –eine per se hektische und arbeitsintensive Phase. 3) Als primäre Ansprechperson und Impulsgeber für die parallele Bearbeitung dieser prioritären Themen kam aufgrund der Grösse der Firma nur der CEO in Frage. Um diese Aufgaben nebst dem laufenden operativen Geschäft auf Termin bewältigen zu können, war auch nur eine tägige Abwesenheit in dieser Situation nicht denkbar.
Und so fand der Workshop im Hauptgebäude der Firma statt, um die physische Erreichbarkeit für ad hoc Abstimmungen zu gewährleisten. Unser Arbeitsrhythmus wurde damit leider jenseits der Idealvorstellung vom hektischen Berufsalltag des CEO bestimmt, der gleichzeitig mehreren Ansprechpersonen und wichtigen Themen gerecht werden musste.
Warum wir auf die (Workshop-)Teilnahme von Entscheidungsträger nicht einfach verzichten können
Ein weiter naheliegender Gedanke ist, die zeitliche Beanspruchung des/ der Entscheidungsträger zu reduzieren: Muss es wirklich er/ sie sein, der/ die im Sitzungszimmer sitzt? Sicher ist die Präsenz der Entscheider nicht immer nötig: Auch in kleineren Organisationen können Teilelemente und -aufgaben delegiert werden. Doch in der Vorbereitung einer Reorganisation auf Stufe Gesamtunternehmen gibt es Phasen und Momente, wo die Präsenz zwingend ist.
Dies gilt beispielsweise A) für die inhaltliche Interpretation und die nötige Ergänzungen zu vorhandenen Unterlagen: Hier ist der Input der entscheidenden Personen zwingend, sonst droht die Gefahr, dass von falschen Grundannahmen ausgegangen wird. Reines Aktenstudium führt nach meiner Erfahrung bei Reorganisationen bzw. Reorganisationsvorschlägen nie zu einem passenden Ergebnis.
Dies gilt B) weiter für die Ausrichtung der neuen Organisation auf die Strategie und die strategischen Ziele, einem zentralen Erfolgsfaktor von Reorganisationen (vgl. dazu z. B. die Studie von BCG aus dem Jahr 2012 „Flipping the Odds for Successful Reorganization“). Was die neue Organisation leisten soll und welchen Ansprüchen sie gerecht werden muss, das muss zusammen mit den verantwortlichen Stellen formuliert werden. Nicht zuletzt darum, um von den zentral Verantwortlichen das Commitment zur gewünschten Zielrichtung der Reorganisation abzuholen.
Schliesslich ist es C) aus Diskretionsgründen im Hinblick auf sich möglicherweise ergebende personelle Konsequenzen nicht immer sinnvoll, den Teilnehmerkreis zu erweitern, um unnötige Unruhe und Ablenkung vom Tagesgeschäft zu vermeiden.
Im skizzierten Fall waren insbesondere die oben genannten Punkte B) und C) zentral. Ich war damit auf die Anwesenheit des CEO angewiesen, alles andere wäre im Hinblick auf ein zielführendes Ergebnis nicht praktikabel gewesen.
Was getan werden kann
Was für andere Möglichkeiten bestehen? In meiner Erfahrung nimmt in einer solchen Situation die Vorbereitung eine besonders wichtige Funktion wahr. Für die interne oder externe Person, die als Prozess-Enabler, als Fachperson und Methodenlieferant für die erfolgreiche Durchführung des Workshops verantwortlich ist, sind drei Aspekten besonders wichtig:
- Um den Prozess auf dem Pfad zu halten, sollte die verwendete Methodik besonders klar dargestellt werden, gerade auch visuell. Ein klarer, schlüssiger Rahmen ermöglicht es, dass die Orientierung im Thema nach Unterbrüchen oder Ablenkungen rasch wieder möglich wird.
- Das Vorgehen sollte möglichst in kleine, logisch möglichst abgeschlossene Schritte unterteilt werden (lieber acht Schritte als nur deren drei). Mit dieser zweiten Massnahme können abgrenzbare Zwischenergebnisse erzielt werden. Damit sind im Tagesablauf auch motivierende Erfolgserlebnisse möglich, trotz wiederholten, ungeplanten Unterbrüchen. Zudem können zu jedem Zeitpunkt einfacher Kurzzusammenfassungen gemacht werden, was das Wiederanknüpfen einfacher macht.
- Schliesslich sollte die Vorbereitung der Inhalte wo immer möglich auch schon Alternativen skizzieren. Diskussionen „auf weissem Papier“ sind zwar oft am Ende gehaltvoll. Doch wenn bei einem solchen Vorgehen zu oft Unterbrechungen drohen, reisst der gedankliche Faden zu oft wieder ab. Alternativen, wenn auch noch nicht ausgegoren, sind in dieser Situation wie Anker, die der Diskussion immer wieder Halt geben können.
Werden diese drei Aspekte berücksichtigt stehen zumindest die Voraussetzungen gut, dass sich die gesteckten Ziele im Workshop trotzdem erreichen lassen.
Persönlich hat mich die skizzierte Situation wieder einmal nachdrücklich auf einen zentralen Erfolgsfaktor aufmerksam gemacht: Die Wesentlichkeit eines offenen und flexiblen Ablaufs. Eine klare Konzeption und eine schlüssige Planung sind sehr wichtig für das gute Gelingen eines jeden Workshops. Aber nichts ist schlimmer, als an der Planung stur festzuhalten, wenn sich die Situation anders entwickelt. Konkret heisst dies nicht nur flexibles Anpassen im Verlauf, sondern auch sich im Vorfeld mental auf eine mögliche Entwicklung der Situation einzustellen und Varianten durchzudenken (und nicht nur auf die passende Methode und die Inhalte der Reorganisation zu fokussieren). Dies gilt ganz besonders, wenn die Rahmenbedingungen wie hier beschrieben nicht ideal sind.
Nötig ist zudem trotz Verständnis für die Notwendigkeit einer gewissen Parallelität die ad hoc-Vereinbarung von zeitlichen Prioritäten im Tagesablauf. Auch wenn wie oben vorgeschlagen die Vorbereitungen stark auf die limitierenden Möglichkeiten angepasst und die Planung situativ adaptiert werden kann: Ständiges Multitasking führt auch bei grosser Anstrengung nicht zum Ziel. Es ist daher unbedingt empfehlenswert, für die wesentlichen Eckwerte des Programms im Tagesablauf gemeinsam Zeitblöcke festzulegen, in denen das eigene Thema Priorität hat. Diese können sofern nötig auch wieder angepasst werden, sollten aber möglichst exklusiv sein.
Übrigens: Ab 15 Uhr hat es dann gut geklappt. Wir sind sehr rasch vorangekommen. Insbesondere konnten wir auch flexibel weitere Personen beiziehen und damit Zwischenergebnisse rasch in einen entscheidungsreifen Zustand bringen. Ein Vorteil, der wir in einem off-site Workshop nicht gehabt hätten. Dieser Ausgang hat mich schliesslich daran erinnert, dass nicht zuletzt eine rechte Portion Geduld Voraussetzung für den Erfolg ist: Erzwingen lässt sich in einem Setting wie hier beschrieben wenig, Verständnis und flexible Reaktionen bringen wesentlich mehr.
Nachbemerkung
Wer sich persönlich wieder einmal mit dem Thema „Workshop“ auseinandersetzen möchte, z. B. um Automatismen zu reflektieren und das eigene Wissen aufzufrischen: Bestens illustriert und sehr praktisch ausgerichtet ist „Das groβe Workshop-Buch“ von Ulrich Lipp und Hermann Will (8. Aufl., Beltz Verlag, Weinheim 2008).