Lernen von den Besten
Was liegt näher als sich an übergrossen Vorbildern zu orientieren? An Figuren, die diese Herausforderungen seit vielen Generationen erfolgreich meistern – zur vollen Zufriedenheit der Beschenkten, Jahr für Jahr? Unbedingt, denn heute ist der erste auf der Piste: Nikolaus bzw. Samichlaus. Für den zweiten ist es noch zu früh und der Kontinent der falsche, doch Santa Claus gehört im Folgenden unbedingt dazu.
Betrachten wir die beiden Herren einmal bildlich: Nikolaus und sein Diener…
…und Santa Claus, hoch in den Lüften.
Einsatz von Hilfsmitteln
Was sofort auffällt ist der Einsatz geeigneter Hilfsmittel. Wikipedia hat diesbezüglich die Dimensionen ganz richtig erkannt: „Wohnort und Transportlogistik“, so lautet die Überschrift des Abschnitts, in dem die Hilfsmittel von Santa Claus beschrieben werden. Zum Transport einen fliegenden, von Renntieren gezogenen Schlitten, mit dem Santa Claus die Geschenke vom Nordpol (wo er wohnt) durch die Lüfte zu den Kindern bringt. Da ist unser Nikolaus dagegen ganz bescheiden, mit dem Esel, angelehnt an die Legende vom heiligen Bischof Nikolaus von Myra. Also die vollen Säcke nicht selber tragen, sondern tragen lassen.
Ein faszinierender Gedanke, mit dem Esel oder noch viel lieber mit dem Rentierschlitten durch die Spitalgasse, Freie Strasse, Bahnhofstrasse: Fahrverbot umgangen, fertig die Schlepperei! Wundervoll. Und man stelle sich erst noch den Showeffekt vor. Bei Problemen: Ab, durch die Lüfte. Ob sich Jeff Bezos von Amazon hier seine Inspiration für die Mini-Drohnen geholt hat?
Dass Santa Claus seine Geschenke durch den Kamin in die Wohnung zu den Kindern bringt, empfehle ich demgegenüber nicht zu kopieren. Diesbezüglich dann doch eher die Orientierung an Nikolaus: Persönliche Auslieferung Zuhause oder alternativ unerkannt in der Nacht in die Stiefel vor der Haustüre.
Mitarbeitende beziehungsweise unterstützende Wesen
Oder mit welchen Worten sollen Elfen und Wichtel umschrieben werden? Santa Claus hat es bezüglich Unterstützung fantastisch: Eine Schar solcher Wesen unterstützt ihn am Nordpol das Jahr über, Spielzeuge zu basteln und als Geschenke zu verpacken. Das tönt nach liebevoller Massenfertigung, passend zur Werbekampagne von Coca Cola mit dem Weihnachtsmann ab den 30iger Jahren, welche die gängige Vorstellung von Santa Claus massgeblich geprägt und verbreitet hat.
Ach ja, da klingt zudem auch die rechtzeitige Vorbereitung an. Hierzu bin ich offensichtlich zu fest im Milizmodus, rechtzeitig ist für mich jedenfalls Jahr für Jahr eine Herausforderung.
Nikolaus hat demgegenüber den Knecht Ruprecht oder Schmutzli dabei, der ihm beim Austragen hilft (und in seiner dunklen Aufmachung den überwundenen Teufel symbolisiert, der dem Guten dienen muss). Schön ist es immer, helfende Hände als Unterstützung zu haben. Aber auf die Aufmachung und das geschwärzte Gesicht von Schmutzli kann ich gut verzichten. Kein Lernen also diesbezüglich…
Coopetition
Richtig gut wird es, wenn sich die beiden Figuren verbünden, statt sich Konkurrenz zu machen. So erzählt im Bilderbuch Nikolaus und Santa Claus von Christine Rettl und Aleksandra Magnuszewska-Oczko:
Der Kurzabriss: Weil es nicht geschneit hat, nimmt Nikolaus den Lastwagen, um die Geschenke auszufahren. Unterwegs beginnt es zu schneien und das Gefährt bleibt hoffnungslos stecken. Was tun, damit die Kinder ihre Geschenke trotzdem rechtzeitig erhalten? Nikolaus bittet eine Krähe, an den Nordpol zu fliegen und Santa Claus um Hilfe zu bitten. Santa Claus hat Mitleid, spannt die Renntiere vor den Schlitten und fliegt durch die Lüfte zu Nikolaus. Gemeinsam packen sie die Geschenke um. Santa Claus bietet Nikolaus seine Hilfe beim Verteilen an. Sie teilen sich die Arbeit (Fachbegriff „Arbeitsteilung“) und legen los: Santa Claus steigt durch die Kamine, Nikolaus macht die Hausbesuche. Und so bekommen alle Kinder auch in dem Jahr ihre Geschenke.
Diesen Erfolgsfaktor kennen wir alle eigentlich: Gemeinsam schenken, auch wenn das Tradierte eventuell wie in obiger Geschichte durcheinander gewirbelt wird.
Kulturelle Einbettung
Nicht imitierbar ist demgegenüber die eigentliche Killerapplikation der beiden vorgestellten Herren: Die selbstverständliche, kulturell fest verankerte aktive und passive Unterstützung von Generationen von Eltern und Grosseltern, Paten, Nachbarn etc. Ein kollektives Heranführen an den grossen Moment, wenn ER vorbei kommt. Ein wahrer Wettbewerbsvorteil im Geschenke-Business, der träumen lässt: Der Moment steht mindestens so im Vordergrund wie das Geschenk an sich. Zumindest der Nikolaus bringt üblicherweise „nur“ Nüsse, Schokolade und Früchte. Doch daran erinnert man sich deutlich länger als an das „was hast Du mir nun schon wieder geschenkt?“-Paket unter dem Weihnachtsbaum.
Meine Schlussfolgerung
Nicht ganz einfach also, das Lernen von den Profis. Ich für mich freue mich daher vorerst auf heute Abend, wenn plötzlich draussen das Glöcklein läutet, meine beiden kleinen Töchter ganz aufgeregt zur Türe rennen (oder in ihr Zimmer, wer weiss…), ihre Augen leuchten, die Stimmung knistert und wir Erwachsenen für ein paar Momente die Magie erleben dürfen, die uns keine noch so ausgeklügelte Geschenklogistik vermitteln kann.
Nachbemerkung, der guten Ordnung halber
Die (überlieferten) Fakten und Hintergründe zu diesem Beitrag stammen aus dem sehr schönen und spannenden Buch „Weihnachtsbräuche in aller Welt“ von Rüdiger Vossen sowie aus dem hübsch illustrierten und flott geschriebenen Bändchen „Das kleine Buch der Weihnachtsbräuche“. Auch für jene geeignet, die noch nach Geschenkideen suchen.