Zementkonzerne im Fokus der Öffentlichkeit
Diese Nachricht hat eingeschlagen: Lafarge und Holcim wollen fusionieren. Die diversen Nachrichten zum Thema haben für kurze Zeit den Fokus auf eine Branche gelenkt, die sonst nicht wirklich im Rampenlicht steht. Im öffentlichen Fokus sind primär die strategischen Beweggründe für das geplante Zusammengehen. Und natürlich die Erwartungen an die ökonomische Wirksamkeit der Fusion.
Auch die Organisation ist schon angesprochen: Die Kernelemente der neuen Spitzenorganisation sind bereits zu Beginn kommuniziert worden (vgl. hier). Das ist natürlich für die betroffenen Anspruchsgruppen zentral, zumal beide Konzerne an der Börse kotiert sind. Auf Stufe Verwaltungsrat ist die Zusammensetzung – wie in solchen Fällen die Regel – paritätisch zwischen beiden Parteien. Der personelle Umfang ist dergestalt, dass er nicht über längere Zeit Bestand haben wird.
Die Frage nach der organisatorischen Rolle geografisch weit gestreuter Konzerneinheiten
Aufregender ist bzgl. Organisation aus meiner Sicht zu diesem Zeitpunkt ein etwas tieferer Blick in die organisatorische „Maschinerie“ der beiden Konzerne. Besonders interessieren mich die möglichen Rollen der operativen Einheiten im Rahmen der Gesamtorganisation. Diese sind sehr zahlreich und vor allem geografisch sehr weit gestreut. Die angedachte Fusion und die darüber zur Verfügung stehenden Informationen bieten nämlich spannenden Anschauungsunterricht, wie die möglichen Rollen der Konzerneinheiten durch die ganz spezifischen Eigenheiten der Zement-Branche beeinflusst werden. Aufgrund dieser Eigenschaften scheint aus der Distanz nur eine autonome Rolle der internationalen Einheiten von Lafarge-Holcim logisch und langfristig erfolgsversprechend.
Warum dies so ist, illustrieren die folgenden Überlegungen.
Globalisierungs- und Lokalisierungsvorteile der Branche als entscheidende Grösse
Wie beeinflussen die Charakteristiken eines Wirtschaftszweigs den zur Verfügung stehenden organisatorischen Handlungsspielraum bei der Rollendefinition der Einheiten eines geografisch weit diversifizierten Geschäftes? Ein weit verbreitetes Konzept orientiert sich dabei an den bestehenden Globalisierungs- bzw. den Lokalisierungsvorteilen einer Branche. Dabei bedeuten hohe Globalisierungsvorteile einer Branche für die Kompetenzverteilung Standardisierungs-/ Zentralisierungs-/ Integrationstendenzen. Demgegenüber führen hohe Lokalisierungsvorteile zu Individualisierungs-Dezentralisierungstendenzen in der Kompetenzverteilung.
Doch was heisst das nun konkret? Am besten verdeutlichen wir uns dies, indem wir zuerst die Dimensionen der Globalisierungs- und Lokalisierungsvorteile in einem Portfolio kombinieren. Es entsteht eine sogenannte Internationalisierungsmatrix, welche die Eigenschaften der Branchen hinsichtlich der Globalisierung und der Lokalisierung in vier Grundtypen einteilt: 1. Internationale Branchen, 2. Globale Branchen, 3. Duale Branchen und 4. Multinationale Branchen.
Diese Branchentypen können folgendermassen umschrieben werden:
Die Anwendung auf Lafarge-Holcim
Und was ist nun mit Lafarge-Holcim? Das prägende Element des Zementsektors im Zusammenhang mit den obigen Überlegungen ist der geografisch stark beschränkte Radius der operativen Aktivitäten (vgl. dazu den informativen Überblick hier). Die Eigenheiten des Materials und der Produkte (insbesondere das hohe Gewicht) verunmöglichen eine rentable Marktbelieferung über eine gewisse Distanz hinweg, da der Transport sehr kostenintensiv ist. Dies beschränkt die Möglichkeiten der Realisierung von Globalisierungsvorteilen massiv. Zwar können Produkte und Dienstleistungen technisch standardisiert werden. Zudem sind in der aufgrund der Kapitalintensität wesentlichen Finanzierung Grössenvorteile realisierbar. Aber die Natur des Geschäfts zwingt mindestens zu einer starken Lokalisierung der Produktion, zu einem im Wesentlichen lokalen Rohmaterial- und Komponentenbezug und einer lokal ausgerichteten Distribution.
Holcim und Lafarge operieren damit grundsätzlich in einer „Multinationalen Branche“, daran ändert auch eine Fusion nichts. Grössenvorteile sind hauptsächlich in der Technologie und generell dem Produkt-Leistungs-Know-how, der Finanzierung und den Supportprozessen realisierbar. Dies führt zu einer Positionierung nahe der „Dualen Branche“.
Die Konsequenzen für die Organisation
Was ergeben sich nun für organisatorische Konsequenzen für die Rollendefinition der geografischen Einheiten, wenn wir wissen, dass Lafarge-Holcim in einer „Multinationalen Branche“ tätig ist? Und wir zudem wissen, dass hohe Globalisierungsvorteile für die Kompetenzverteilung Standardisierungs-/ Zentralisierungs-/ Integrationstendenzen, hohe Lokalisierungsvorteile demgegenüber Individualisierungs-Dezentralisierungstendenzen bedeuten?
Von den vielen zur Verfügung stehenden Ordnungsansätzen (vgl. dazu beispielsweise die entsprechende Übersicht im Buch von Michael Kutschker und Stefan Schmid „Internationales Management“) finde ich hier besonders die diesbezüglichen Überlegungen von Jarillo und Martinez interessant. Sie unterscheiden vier unterschiedliche idealtypische Rollen ausländischer Einheiten im jeweiligen spezifischen Branchenkontext:
Werden die obigen Überlegungen bezüglich Branche mit denjenigen der Rollen kombiniert, so entsteht das hier rechts abgebildete Portfolio. Für das Geschäft von Lafarge-Holcim führen diese Überlegungen zum Schluss, dass die ausländischen Einheiten logischerweise über eine Autonome Rolle verfügen müssten.
Dabei kann die „Autonomie“ sicher variieren, doch organisatorisch gesehen müssten sie immer über recht viele Aktivitäten und Kompetenzen verfügen, damit das Geschäftsmodell langfristig erfolgsversprechend umgesetzt werden kann.
Nicht nur für Grosskonzerne wie Lafarge und Holcim
Lafarge-Holcim ist ein schönes Illustrationsbeispiel. Allerdings sind alle aufgeführten Überlegungen problemlos auf kleinere Unternehmen anwendbar, die über eine bestimmte geografische Diversifikation ihrer Aktivitäten aufweisen.
Quellenangaben
Die oben vorgestellte Internationalisierungsmatrix sind dem Buch „Unternehmensführung“ von Klaus Macharzina und Joachim Wolf entnommen. Die vorgestellten Überlegungen von J. Carlos Jarillo und Jon I. Martinez stammen aus ihrem Artikel „Different roles for subsidiaries: The case of multinational corporations in Spain“ aus dem Strategic Management Journal. Die grundsätzlichen Überlegungen zur internationalen Konzernorganisation wiederum sind meinem eigenen Buch „Organisation Multinationaler Konzerne“ entnommen.